Verringern irrelevante Informationen die Qualität von Lehrkräfteurteilen über die Motivation von Schüler:innen?

Grunddaten zum Vortrag

Art des Vortrags: wissenschaftlicher Vortrag
Namen der Vortragenden: Beck, J., Dutke, S., & Utesch, T.
Datum des Vortrags: 01.03.2023
Vortragssprache: Deutsch

Informationen zur Veranstaltung

Name der Veranstaltung: Zehnte Jahrestagung der Gesellschaft für Empirische Bildungsforschung
Ort der Veranstaltung: Essen

Zusammenfassung

Motivation von Schüler:innen zu diagnostizieren, zählt zu den zentralen, professionellen Kompetenzen von Lehrpersonen. Allerdings stimmen informelle Urteile von Lehrpersonen oft nur in geringem Maße mit den Selbsteinschätzungen der Schüler:innen überein (Urhahne & Wijnia, 2021). Zielorientierungen (Elliot & Church, 1997) scheinen für die Motivation von Schüler:innen relevant zu sein, jedoch berücksichtigen Lehrpersonen vermehrt nicht-diagnostischer Informationen (z. B. Geschlecht oder Leistung; Brandmiller et al., 2020; Kaiser et al., 2013). Daneben vernachlässigen Lehrpersonen diagnostische Informationen (Dicke et al., 2012). Das Vorhandensein nicht-diagnostischer Informationen könnte die Verwendung diagnostischer Informationen beeinträchtigen. Hieraus ergibt sich folgende Fragestellung: Wie unterscheidet sich die Güte des Motivationsurteils, wenn nur diagnostische (Bedingung 1) bzw. diagnostische und nicht-diagnostische Informationen (Bedingung 2) vorhanden sind? Zur Untersuchung dieser Frage wurde eine Online-Vignettenstudie durchgeführt. N = 105 (MAlter = 34.7 Jahre, SDAlter = 12.7) Lehramtsstudierende (n = 45) und Lehrpersonen (n = 60) wurden zufällig zwei Bedingungen zugewiesen, in denen jeweils acht fiktive Schüler:innen hinsichtlich ihrer Motivation beurteilt wurden. Die Personen in Bedingung 1 (n = 63) erhielten Vignetten mit ausschließlich diagnostischen Informationen (Lernzielorientierung und Arbeitsvermeidungstendenzen; jeweils „niedrig“, „durchschnittlich“, oder „hoch“). Personen in Bedingung 2 (n = 42) erhielten die gleichen Vignetten ergänzt um Informationen über Geschlecht (m, w) und Leistung (unter- oder überdurchschnittlich), die nicht-diagnostisch für Motivation sind. Die daraus resultierenden 32 Vignetten wurden in 4 Materialsets (n1 = 13, n2 = 13, n3 = 9, n4 = 7) von je 8 Vignetten gegliedert. Jede Person in Bedingung 2 erhielt eines dieser Sets, so dass alle Kombinationen diagnostischer und nicht-diagnostischer Informationen gleich häufig bearbeitet wurden. Um Motivationsurteile über fiktive Schüler:innen, solchen über reale Schüler:innen anzunähern, sollten Versuchspersonen heterogene Profile fiktiver Schüler:innen für eine Projektwoche in Gruppen einteilen. Schüler:inneninformationen wurden somit ohne Wissen über die diagnostische Aufgabe präsentiert, jedoch mit dem Ziel, Informationen zu behalten. In beiden Bedingungen hängen die Motivationseinschätzungen unterschiedlich stark mit Lernzielen (Bedingung 1: η² = .223; Bedingung 2: η² = .021) und Arbeitsvermeidung (Bedingung 1: η² = .017; Bedingung 2: η² = .019) zusammen. Der Unterschied zwischen den Bedingungen ist in der Nutzung von Lernzielen signifikant (β = -.28; p < .001), von Arbeitsvermeidung nicht (β = -.08; p = .255). In Bedingung 2 sind Motivationsurteile zusätzlich unterschiedlich zwischen über- und unterdurchschnittlich leistungsstarken Schüler:innen (η² = .140), aber nicht zwischen den Geschlechtern (η² = .028). Die Ergebnisse zeigen, dass diagnostische Informationen von Motivation genau dann weniger genutzt werden, wenn zusätzlich Informationen über die Leistung und das Geschlecht der Schüler:innen vorhanden sind. Daraus folgt die Vermutung, Lehrpersonen priorisieren Leistungscharakteristika in alltäglichen Schulsituationen im Gegensatz zu den motivational relevanten Hinweisen. Für retrospektive Urteile über die Motivation könnten somit Leistungscharakteristika eine für Lehrpersonen gewichtige Information sein statt Lernziele bzw. Arbeitsvermeidung. Folglich sollte diskutiert werden, inwiefern der Stellenwert von Leistung in der Schule die Wahrnehmung der Lernbereitschaft von Schüler:innen verzerrt.

Stichwörter: Motivationsdiagnostik; diagnostische Kompetenz; Lehrkräfteurteil