Studienplatzoffensiven für das Lehramt in NRW – zu den Auswirkungen eines staatlichen Steuerungsimpulses

Schultes, P., Holle, J. & Gollub, P.

Poster

Abstract

Aufgrund des gravierenden und anhaltenden Lehrkräftemangels für das Lehramt an Grundschulen (G) und sonderpädagogische Förderung (sF) in Nordrhein-Westfalen (NRW) (z. B. MSB, 2018; MSB, 2023) hat das Land in Kooperation mit den lehramtsbildenden Hochschulen die Studienplatzkapazitäten deutlich erhöht. Da allerdings seit der Einführung polyvalenter Lehramtsstudiengänge keine Statistiken zu Lehramtsstudierenden mehr veröffentlicht werden (MSB, 2024, S. 274), sind die tatsächlichen Auswirkungen dieses Steuerungsimpulses bislang weitgehend unklar. Daher verfolgt dieser Beitrag das Ziel, die Wirkungen der Studienplatzoffensiven zu untersuchen, indem die tatsächlichen Neueinschreibungen an den lehramtsausbildenden Hochschulen mit den bereitgestellten Kapazitäten verglichen werden. Übergreifende Befunde zur Entwicklung von Studierendenzahlen verweisen dabei auf insgesamt sinkende Zahlen von Studienanfänger:innen. So sank deren Anzahl in Deutschland zwischen den WiSe 2017/2018 und 2022/2023 um rund 10 % (CHE, 2023), im Bereich der Lehrämter um ca. 13 % (eigene Berechnung auf Grundlage von Daten des Statistischen Bundesamtes). Die Kapazitätszuweisung zu Studiengängen erfolgt in NRW über die jeweilige Hochschule. Über die Bereitstellung von Studienplätzen in Studiengängen treffen das Land und die Hochschulen Vereinbarungen, in denen festgehalten ist, wie viele Studienplätze die Hochschulen vorzuhalten haben und welche Gegenfinanzierung dafür vom Land zu leisten ist. Insofern handelt es sich bei den durchgeführten Studienplatzoffensiven nicht um hierarchische staatliche Steuerungsimpulse, sondern um Governance-Praktiken, aus denen Vertragsbeziehungen resultieren (Dedering, 2012). Insbesondere besteht eine ausgeprägte Interdependenz zwischen Hochschule und Land: Ist das Land für die Hochschule die primäre Finanzierungsquelle, besteht die umgekehrte Abhängigkeit in der Monopolstellung der Hochschulen für die grundständige Lehrer:innenbildung. Die Kapazitäten für zulassungsbeschränkte Studiengänge werden jedes Semester in einer Verordnung festgesetzt, die Zahl der Einschreibungen in die entsprechenden Studiengänge ist allerdings nicht für alle Hochschulen öffentlich zugänglich. Durch Anfragen in den Verwaltungen aller lehramtsbildender Hochschulen konnten – eine Ausnahme stellt die Bergische Universität Wuppertal (BUW) dar – die Zahlen der Einschreibungen in das erste Fachsemester für die Lehrämter G und sF für den Zeitraum von SoSe 2015 bis SoSe 2024 erhoben werden. Für die BUW wurden die Einschreibungen anhand der Kapazitäten geschätzt. Im Rahmen der Analyse fand sowohl ein Abgleich zwischen Kapazitäten und Einschreibungen als auch ein Vergleich zu in Pressemitteilungen des Landes angekündigten Kapazitätsentwicklungen im Rahmen der Studienplatzoffensiven statt. Die Untersuchung gestaltete sich aufgrund der Unterschiedlichkeit der Organisation des Lehramtsstudiums an den verschiedenen Hochschulstandorten herausfordernd. So existieren z. B. Studiengänge, die sich nur schwer einem spezifischen Lehramtstyp zuordnen lassen. Mit Blick auf die Studienanfänger:innen zeigt sich seit 2015 für beide Lehrämter ein deutlicher Anstieg. Betrug der Zuwachs für das Lehramt G 50 % (von 1752 im Studienjahr (SJ) 2015 zu 2628 im SJ 2023), fiel der Anstieg für das Lehramt sF mit 23 % (1448 zu 1785) deutlich geringer aus. Markante Sprünge der Einschreibezahlen finden sich hier im Übergang von SJ 2016 zu 2017 mit einem Anstieg um ca. 11 % (abs. +154) und einem Schwund von 11 % zwischen 2020 und 2021 (abs. -203). Im Übergang von SJ 2021 zu 2022 konnte trotz hinzukommen eines neuen Studienstandortes lediglich ein Zuwachs von 3 % (Abs. +48) Studierenden erreicht werden. Für das Lehramt G waren zwischen den Studienjahren 2017 und 2018 mit rund 17 % (Abs. +278) und 2022 und 2023 mit ca. 20 % (abs. +441) bedeutende Zuwächse zu erkennen, während es lediglich zwischen 2018 und 2019 mit -5,7 % (abs. -124) zu einem größeren Abschmelzen der Studienanfänger:innen kam. Bei den Studiengangskapazitäten zeigen sich für beide Lehrämter seit 2015 große Zuwächse. Im Lehramt sF stieg das Angebot von 1187 auf 2149 Plätze (+80 %), im Lehramt G von 1599 auf 2546 Plätze (+59 %). Zuwächse von über 10 % im vgl. zum Vorjahr wurden für das Lehramt G für die SJ 2018 und 2023 erreicht, im Lehramt sF in 2019, 2020 und 2023. Stellt man die in zwei Pressemitteilungen benannten Kapazitätssteigerungen den tatsächlich gemeldeten Kapazitäten und den eingeschriebenen Fachanfängern gegenüber, so lässt sich folgendes festhalten: I. Die Hochschulen haben einige Jahre lang deutlich mehr Studierende aufgenommen, als sie als Kapazitäten gemeldet hatten. Erst in den letzten Studienjahren ist eine Trendwende erkennbar, die im Bereich der Sonderpädagogik sogar dazu führt, dass die Kapazitäten momentan nicht ausgelastet werden. II. Die in der Pressemitteilung von 2020 genannten Kapazitätszuwächse im Betrachtungszeitraum erscheinen deutlich überzogen, insbesondere verglichen mit der tatsächlichen Entwicklung der Einschreibezahlen. Die in 2023 genannten Kapazitätsausweitungen erscheinen hingegen plausibel, auch wenn diese wohl zu einem beträchtlichen Teil in den Abbau von Überbuchungen geflossen sind und die tatsächlichen Zuwächse bedeutend geringer ausfallen. So nahm die Zahl der Studienanfänger im Bereich der Sonderpädagogik zwischen SJ 2017 und SJ 2023 nur um rund 250 Studierende zu – bei einer Kapazitätsausweitung um rund 700 Plätze. III. Besonders im Bereich der Einschreibezahlen zeigen sich unterschiedliche Entwicklungen zwischen den verschiedenen Hochschulstandorten. Die Zahlen lassen vermuten, dass die Studienplatzoffensiven nur bedingt erfolgreich verlaufen (sind). Im Bereich des Lehramt G konnten die zusätzlich eingerichteten Kapazitäten auch ausgeschöpft werden, wenngleich dies erst zum SJ 2023 umfänglich gelang. Im Bereich der sF ist eine ähnliche Entwicklung – trotz der Einrichtung zusätzlicher Studienstandorte – bislang nicht erkennbar. Für zukünftige Untersuchungen scheint es angezeigt zu prüfen, inwiefern die wachsende Zahl an Studienanfängern auch zu mehr Abschlüssen in der ersten bzw. zweiten Phase der Lehrer:innenbildung führt.

Details zur Publikation

Release year: 2024
Language in which the publication is writtenGerman