Dogmatik bildet eine besondere Erscheinungsform politisch-rechtlicher und religiöser Normativität. Gut erforscht sind nur die immanenten Funktionen von Dogmatik (Reduktion normativer Komplexität; Stabilisierung normativer Erwartungen), nicht ihre gesellschaftliche Funktion und Wirkung. Nimmt man den Zusammenhang von normativem Geltungsanspruch und Form in den Blick, so erscheint Dogmatik indes als eine – spezifisch westliche – „Inszenierung“ von Recht und Religion in der Gestalt wissenschaftlicher Erkenntnis. Insbesondere haben dogmatische Sätze nämlich trotz ihres normativen Gehalts einen „beschreibenden Sinn“ (Hans Kelsen). Das bedeutet ein besonderes Legitimationspotential, weil Normativität, die als wahrheitsfähig, eindeutig und damit prinzipiell rational begründbar repräsentiert wird, eben dadurch als legitim erscheint. Hinzu kommt, dass Dogmatik einen wesentlichen Faktor bei der Schaffung und Stabilisierung der Autonomie von Recht bzw. Religion bildet. Denn die wissenschaftliche Dogmatisierung macht das Normative – trotz seiner Rationalität – zum epistemisch Arkanen, das von einer Gruppe von Experten verwaltet werden muss, die einen entsprechenden Vertrauensvorschuss einfordern dürfen.
Jansen, Nils | Lehrstuhl für Römisches Recht (Prof. Jansen) (RG1) |
Jansen, Nils | Lehrstuhl für Römisches Recht (Prof. Jansen) (RG1) |